Die Urmutter der weiblichen Mode, sich die Haare rot zu färben, wie sie in den Sechzigern aufkam, ist unbekannt. Sie wird wahrscheinlich immer anonym bleiben in der »Koalition der vielen«, die sich zur Frauenbewegung vereinten und eine kollektive »Ästhetik des Widerstands« gegen den erdrückenden Zeitgeist von bürgerlicher Weiblichkeit und männlicher Dominanz begründeten. Die mit der Färbung einhergehende Kürze der neuen rebellischen Frisur signalisierte damals die Auflehnung gegen das bürgerliche Ideal der langhaarigen, gelockten, toupierten, vor allem aber blond gefärbten Frau. Zugleich nahmen die Feministinnen mit der Kurzhaarfrisur eine Tradition der zwanziger Jahre auf— den roten Bubikopf, der im Vergleich zur neuen Mode allerdings sehr feminin wirkte. Die Ästhetik der weiblichen Subkultur der Sechziger verstand sich als Antithese zu einer Körperideologie, die Frauen ausschließlich mit Kosmetikprodukten und Künstlichkeit in Zusammenhang brachte. Die Frauen protestierten gegen den von Männern gewünschten und auch durchgesetzten »Kunstkörper« Frau. Sie richteten sich nicht nur gegen die »Ausbeutung des vergesellschafteten Wesens« der Frauen, sondern vor allem gegen den Umgang mit der weiblichen Natur. Der weibliche Körper sollte nicht länger mit chemischen Keulen wie Wasserstoffperoxid oder anderen Präparaten vergiftet werden; die Feministinnen wollten sich unabhängig von der gestalterischen Willkür der Friseure selbstbestimmt stilisieren. Die rote Haarfarbe, die sich Frauen künstlich aneigneten, war in dieser Zeit der Opposition eines der wenigen Zugeständnisse an die Kosmetikwelt. Wie zahlreiche englische Suffragetten um Emmeline Pankhurst an der Wende zum 20. Jahrhundert verwendeten die Frauen der sechziger Jahre zumeist das Naturprodukt Henna und nicht die industriell gefertigten Waren der großen Firmen.
Inzwischen haben die großen Hersteller längst auch eigene Produktlinien »Henna« auf den Markt gebracht. Dass das (Färbe-) Mittel zur Äußerung des weiblichen Protestes gegen den patriarchalen Kapitalismus zuletzt selbst aus der kapitalistischen Produktion stammt, beweist wieder einmal, dass es letztendlich immer nur eine Frage der Zeit ist, bis der Kapitalismus seine Gegner vereinnahmt. Die ersten Hennapackungen mussten übrigens vom deutschen Markt genommen werden, da sie als Emblem eine barbusige Frau zeigten. Dieser »sexistische« Kaufanreiz widersprach zu jener Zeit noch den herkömmlichen Moralvorstellungen. Der massive Protest gegen diese Art der Werbung kam damals nicht von den Frauenrechtlerinnen, sondern von der katholischen Kirche und von der Deutschen Hausfrauenunion.
Im historischen Rückblick gesehen ist es schon recht kurios, dass die Frauenbewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts als eine Freiheitsbewegung gegen die Uniformierung des Lebens angetreten war, sich innerhalb weniger Jahrzehnte selbst eine Art »Uniform« schuf, um zu provozieren. So kleideten sich die Frauenrechtlerinnen in den sechziger Jahren im deutschsprachigen Raum in lila Latzhosen und trugen stolz ihren roten Kurzhaarschnitt. Sie konnten sich damit einer doppelt begründeten Ablehnung sicher sein: Frauen hatten damals auszusehen wie Doris Day oder ihr deutsches Pendant Elke Sommer — blond gefärbt, in engem Rock oder jeden-falls nicht in Hose. Ultraklerikale Kreise mokierten sich zudem vor allem über die Verwendung der Farbe Lila, die sie für säkulare Zwecke missbraucht sahen. Traditionell gilt Lila als die Farbe der Bischöfe, der österlichen Passion und der Keuschheit. Gerade Keuschheit lehnten aber die Frauen als Instrument der geschlechtlichen wie gesellschaftlichen Unterdrückung kategorisch ab. Meinten die Kritiker der Feministinnen in der Verwendung der Farbe Lila eine beinahe häretische, jedenfalls aber pietätlose Grenzüberschreitung feststellen zu können, so wurde die rote Tönung der Haare vom Bürgertum ganz allgemein als Signal für eine politische Grundhaltung und für Widerstand angesehen, der nicht einmal mehr explizit artikuliert werden musste. »Man« verstand das Signal, wiewohl Mann von der subversiven Diskussion um die Haarfärbung oder -tönung selbst kaum betroffen war. Bis vor wenigen Jahren waren Männer — abgesehen von der kleinen Gruppe der Punks — für Hersteller der Haarfarbe Rot kein Zielpublikum. Rote Haarfarben wurden, zumindest der Werbung nach, lange Zeit ausschließlich für Frauen produziert. Im Jahr 2001 wurden auf den Plakaten von L'Oreal erstmals auch Männer mit kleinen Bildausschnitten als Käufer roter Haartönungen angesprochen. Rothaarige Männer, die eher als schüchtern gelten, scheinen im heutigen Verständnis der Geschlechter an Attraktivität zu gewinnen. Erfolgreiche Rothaarige wie Boris Becker haben Rot als Haarfarbe auch für den Mann gesellschaftsfähig gemacht. Früher waren Clowns wie Ronald McDonald rothaarig und damit kaum ein Vorbild für Männer.
Rote Haare sind jedoch nicht nur ein Signal für Emanzipation und die damit assoziierte Provokation der Gesellschaft. Sie rufen keineswegs in allen Kulturen von Haus aus negative Assoziationen hervor. So sagt man Frauen mit langen roten Haaren auch in unserem Kulturkreis nach, sie seien temperamentvoll und sexuell sehr aktiv. Im Osmanischen Reich galten sie mehr noch denn blonde als besonders begehrenswert und wurden auf den Sklavenmärkten für die Harems und Serails zu hohen Preisen gehandelt. Die rothaarigen Mädchen, die das Schicksal des Menschenraubes erlitten, stammten zumeist aus den kaukasischen Siedlungsgebieten; sie waren Georgierinnen, Armenierinnen und Perserinnen. Auch in der jüdischen Bevölkerung des östlichen Mittelmeerraumes gab es auffallend viele Rothaarige. Russische Antisemiten beschrieben Juden in ihrer Propaganda immer als rothaarige Menschen. Die rote Haarfarbe war daher selbst in der Sowjetunion weitgehend stigmatisiert, und dies sogar unter den turkmenischen Völkern des Riesenreiches, die in der präsowjetischen Epoche von Antisemitismus unberührt geblieben waren. Diesem heute wenig geläufigen Typus des rothaarigen russischen Juden setzte auch der aus dem jüdisch-galizischen Milieu stammende Joseph Roth in seinem Roman Tarabas ein literarisches Denkmal. Trotz der antisemitischen Vorurteile tauchen in den russischen Romanen, Theaterstücken und Erzählungen auffallend viele Rothaarige auf – mehr als in jeder anderen Nationalliteratur – und dies, obwohl »rus«, von dem sich »Russe« ableitet, in seiner Grundbedeutung eigentlich »blond« meint. Fast alle Figuren Tschechows oder Dostojewskis haben feuerrotes Haar; selbst die Kühe, die letzterer beschrieb, weisen fast immer ein rotes Fell auf.
Wie sehr selbst die den Pogromen entflohenen Juden aus Russland und Osteuropa (zum Beispiel Galizien) die Ansichten des spezifischen Antisemitismus ihrer Heimat verinnerlichten, beweist eine Aufforderung des Hollywood-Moguls Sam Goldwyn gegenüber dem US-Komiker Danny Kaye: Er schrieb dem rothaarigen Daniel Kominsky (Danny Kaye) – Sohn russischer Juden – ultimativ vor, seine Haare erst einmal blond zu färben, ehe er ihm eine Filmrolle anbot. Der berühmteste Studioboss Amerikas, der mit seinen Eltern aus dem jüdischen Ghetto in Polen emigriert war, hatte die Verbindung von Rothaarigkeit und Judentum so sehr verinnerlicht, dass ihm die Bedeutung von Rothaarigkeit im kulturellen Kontext der USA nicht bewusst wurde. Dort waren die Iren und Schotten rothaarig, während Juden landläufig als dunkelhaarig galten. Erst am Ende seiner Laufbahn musste sich der inzwischen zu Weltruhm gelangte Komiker Danny Kaye nicht mehr dem Procedere des Färbens unterwerfen.
Die Verwendung von Henna als Haarfärbemittel lässt sich bis in die Zeit des pharaonischen Ägypten zurückverfolgen: Rote Perücken zählten (neben den dunkelblauen) zu den Statussymbolen der alles beherrschenden ägyptischen Priesterklasse. Vor allem aber trug der Pharao anstelle seiner rotweissen Doppelkrone zuweilen eine rot gefärbte Perücke, um seine Macht über den Herrschaftsbereich Oberägypten zu verdeutlichen. Im Diesseits war es nach Vorstellung der Ägypter immerhin eine kleine Elitegruppe, die sich rot schmücken durfte, im Jenseits, dem Reich der Götter, war es dagegen nur ein einziger Gott, der Zauberer Set, Gott des Todes und Bruder des allmächtigen Osiris, den die Ikonographie als Rothaarigen darstellt. Die sakrale Verbindung zwischen dem Tod und der Farbe Rot dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit die Roma von den Ägyptern übernommen haben, als sie von Ägypten nach Europa weiterwanderten. Nur in diesem Kulturkreis der »Zigeuner« gilt Rot bis heute als ein Zeichen der Trauer. Eine natürliche Rothaarigkeit ist quellenmäßig nur für Pharao Ramses II. (1290—1244 v. Chr.) abgesichert; sein zweites charakteristisches Merkmal, die blauen Augen, lassen es wahrscheinlich er-scheinen, dass seine Mutter nicht aus Ägypten stammte, sondern aus dem Kaukasusgebiet. Die weit verbreitete Legende, wonach die letzte ptolemäische Königin des Nillandes, Kleopatra, rotes Haar hatte, ist jedoch eine jener Erfindungen, die nachfolgende Generationen aus ihrem eigenen Bewusstsein und ihren eigenen Vorurteilen heraus auf die Vergangenheit projiziert haben. Immerhin stand die Verführerin von Cäsar und Antonius im Ruf, macht gierig, unbeherrscht und lasziv zu sein — Eigenschaften, die schon immer mit Rothaarigkeit in Verbindung gebracht wurden. Dokumentarische Belege für ihre Rothaarigkeit aus ihrer Regierungszeit gibt es nicht, dafür genügend Bildquellen aus den nachfolgenden Jahrhunderten. Manche Maler späterer Epochen malten jedoch auch eine blonde Kleopatra.