Bis zur Mitte des 19 Jahrhunderts war das tragen von Bärten eigentlich in allen verschiedenen Formen und längen je nach Kulturkreis eigentlich unkritisch. Jedoch ab der Mitte des 19. Jahrhunderts war das tragen eines Bartes auch mit einem abweichen von der Norm - ja sogar mit einer gesellschaftlichen Revolution - wie es viele Staatsrevolutionäre getan haben. Das Gesicht der Staatsrevolutionäre begann sich zu wandeln, nachdem der Bart seit der Revolution von 1830 zum Erscheinungsbild der Revolutionäre schlechthin gehört hatte und die studentischen Barrikadenkämpfer von 1848 demonstrativ einen Vollbart getragen hatten. Die französischen Revolutionäre von 1789 und die amerikanischen Unabhängigkeitskämpfer hatten sich von ihren Unterdrückern zuvor nur durch Kleidung, nicht aber durch Stilisierung des Körpers unterschieden.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Bartmode so sehr mit dem bürgerlichen Widerstand gegen das Ancien Régime identisch, dass Vollbärte in konservativen Schmähschriften herablassend als "Demokratenbärte" bezeichnet und in einigen deutschen Kleinstaaten deswegen sogar verboten wurden: So erließ Hessen im Jahr 1831 ein derartiges Verbot und erneuerte 1857 das "höchste Rescript, wonach das den Zivildienern erlassene Verbot des Tragens von Schnurrbärten von sog. polnischen Judenbärten Anwendung findet und von den Zivildienern dergleichen Bärte sowie Schnurrbärte nicht getragen werden sollte".
Die Beamten, selbst die Professoren an den Universitäten, mussten glattrasiert ihren Dienst verrichten oder hatten ihn zu quittieren. Der "Professorenbart", ein typisches Kennzeichen dieses Berufstandes und anderer Intellektuellen im 19. Jahrhundert, hat seinen Ursprung in diesen Jahren und überdauerte die konservative Wende an den Universitäten.
Die demokratische Rechte Europas entwickelte nach dem Zweiten Weltkrieg keine eigenständige Ästhetik mehr, in der Bärtigkeit Platz gehabt hätte. Zu sehr orientierte sie sich ungebrochen am Ideal des glatten soldatischen Körpers der Kriegsgeneration. Keine zivile Institution hatte es vermocht, in Europa, in den USA und den anderen Teilen der Welt derart nachhaltig eine uniforme Körperästhetik zu schaffen wie das Militär. Dabei ist anzumerken, dass im Ersten Weltkrieg nur die amerikanischen Soldaten glattrasiert auf den Schlachtfeldern hingemetzelt wurden.
Rechtzeitig vor Beginn des großen Krieges hatte die Firma Gillette es vermocht, einen Exklusivvertrag mit dem US-Militär abzuschließen und die Armee des größten Landes der Welt mit einer enormen Anzahl an Toilettenartikeln auszustatten. Mit diesem Kontrakt und dem Sieg der Alliierten war gleichzeitig die Geburtsstunde des Soldatentypus des 20. Jahrhunderts eingeläutet worden.
Im 19. Jahrhundert hatten, wenngleich unter anderen logistischen Bedingungen, abweichende Regeln den Soldatenkörper beherrscht. Seit dem für England erfolgreichen Krimkrieg hatten die britischen Soldaten stolz einen Bart, zumindest einen Schnurrbart, getragen. Ursächlich steht diese Imitation der Helden aber in Zusamenhang mit den katastrophalen hygienischen Verhältnissen auf der Krim, wo sie schlicht nicht rasieren konnten. Nach dem Sieg war dieser Umstand dann schnell vergessen.
Während der Hitlerbart der öffentlichen Ächtung anheimfiel, verkamen die Bartmoden der einstmals großen Herrscher mehr oder weniger zum Kitsch der Tourismusindustrie. Der Kaiser-Franz-Joseph-Backenbart schmückt nur noch die Statisten der mitteleuropäischen K.-u.-k-Nostalgie in Bad Ischl und Wien oder die Mitglieder der Industriellenfamilie Mautner-Markhof. Der Kaiser-Wilhelm-Bart wie auch der Hindenburg-Bart werden inzwischen kaum mehr mit ihren grossen Trägern identifiziert, und die distinguierte Bartmode Napoleons III. tradiert nur noch in karikierender Weise der Münchner Modezar Moshammer.
Die wenigen noch regierenden Monarchen oder Prinzgemahle der Monarchinnen haben sich in ihrem optischen Erscheinungsbild schon längst an das Vorbild der gewählten Politiker angepasst. Nur den ewigen Thronanwärter Otto von Habsburg ziert seit seiner frühesten Jugend ein kleiner Bart. Die Zeiten, da Herrscher Bartmoden kreierten, sind endgültig vorbei. Die Jugend folgt heute bereitwilliger Johnny Depp und anderen Hollywoodgrössen.
Politiker, die einstmals mit ihren Bärten Macht und Weisheit zu symbolisieren trachteten, setzen in der Mediengesellschaft lieber auf ihre künstlich strahlend weißen und makellosen Zähne und das breite, nichtssagende, Optimismus verbreitende Lächeln. Ohne Zweifel ist ein Grund für das Schwinden der Bartmode der Kult der ewigen Jugend - Bärte lassen Männer älter erscheinen.
Da sich in unserem Kulturraum 95 % der Männer regelmäßig glatt rasieren, ist der Bart eigentlich zum ästhetischen Randphänomen verkommen. Das glattrasierte Gesicht repräsentiert in Mitteleuropa inzwischen die Konformität und die Bereitschaft zur Assimilation. Die Unrasierten, die schlecht Rasierten oder die bärtigen Jünglinge und Männer werden oftmals als fremde Erscheinungen im öffentlichen Leben wahrgenommen. Längst vergangen sind die Zeiten, da sich konservative Kreise empörten, weil die männliche Jugend den »deutschen« Vollbart nicht mehr tragen wollte, sondern die modischeren Schnauz-, Schnurr- und Kinnbärte der Italiener und Franzosen, der »Welschen« also, imitierte. Für die bartlos gewordene Mehrheitsgesellschaft wie auch die bärtigen Minderheiten fungiert das Gesichtshaar als negatives, umgekehrt aber auch als ein bekennendes Zeichen. Insbesondere islamische, orthodoxe und jüdische Männer widersetzen sich dem Diktat der Glätte.
Bartformen 1 Babylonische Fräse. - 2 Assyrischer Vollbart. -3 Ägyptischer Königshart. - 4. Griechischer Bart. - 5 Germanischer Bart. - 6 Fränkischer Bart. - 7 Bart im 16. Jahrhundert (1. Hälfte). - 8 Bart nach Heinrich IV. von Frankreich ("Herny IV"). -9 Sogenannte Fliege. - 10 Kotelett-Bart. - 11 Demokratenbart.- 12 Bart nach Napoleon III. - 13 Sogenannter W-Bart. - l4 Schnurrbart "Es ist erreicht".
Die Geschichte des Rasierens ist Teil des zivilisatorischen Prozesses und beginnt vor rund 20000 Jahren, wie archäologische Funde von Steinklingen zum Rasieren beweisen. Die spezifischen Traditionen des Judentums können bis in die Zeit der babylonischen Gefangenschaft zurückverfolgt werden.
Im Judentum wie auch hei den anderen orientalischen Völkern gilt der Bart als Inbegriff der Kraft und als ein Symbol der von Gott gegebenen Männlichkeit. Das alttestamentarische Buch der Könige liefert hierfür ein bezeichnendes literarisches Dokument. Um die Israeliten zu kränken, scherten die verfeindeten Ammoniter den Boten König Davids den Bart zur Hälfte ab (2 Kön. 10.4). Im orthodoxen Judentum regeln auch heute noch strenge rituelle Gesetze die Pflege des Bartes. So darf er unter keinen Umständen mit einer Schere geschnitten werden. Den Gesetzen entsprechend schreibt die rabbinische Tradition sein Abbrennen vor. In den alttestamentarischen Texten wird die Rasur als ein besonders verwerflicher Akt verurteilt, da er die Männer in ihrem Erscheinungsbild den heidnischen Priestern ähnlich macht. Erlaubt war daher nur eine Verkürzung, und zwar lediglich als ein sichtbares Zeichen der Trauer; in allen anderen Fällen galt die Beschneidung des Bartes als erstes Anzeichen von Verrücktheit. Das Berühren des Bartes durch eine fremde Frau stellt in dieser religiösen Kultur heute noch eine schwere und kaum wiedergutzumachende Demütigung des Mannes dar.
Innerhalb der antiken jüdischen Gesellschaft, die einen hohen Grad an Normazidität aufwies, war der Bart der Männer die Normalität, gab es doch zuwenig Zeit und Wasser, um ihn regelmäßig zu kürzen und gründlich zu pflegen. Anders hingegen waren die Bedingungen im pharaonischen Ägypten, mit dem Israel in einem regen kulturellen Austausch stand. Die Gesellschaft am Nil wies einen hohen Grad an Sesshaftigkeit auf und verfügte über einen fast unermesslichen Vorrat an Wasser, was die regelmäßige Körperhygiene erleichterte.
Der Bart, wenngleich nur der am Kinn und niemals der Vollbart, verhieß jedoch auch in Ägypten Macht und war deshalb einzig den Pharaonen vorbehalten. In Ermangelung solcher echten Gesichts-haare konnten sie ersatzhalber am Kinn aufgeklebt werden. Daher trugen selbst die großen Pharaoninnen diesen Gesichtsschmuck als Zeichen ihrer legitimen Herrschaft. Der Bart galt als symbolisches Vorrecht der Götter und des Herrschers, weswegen kein unrasierter Mann in die Nähe des Herrschers kommen durfte. Dieses Gebot wird in der biblischen Josephsgeschichte ausführlich geschildert. Ehe Joseph aus seinem Gefängnis befreit und zum Pharao geführt wurde, musste er sich einer gründlichen Rasur unterziehen.
Die ägyptische Mode der Glattrasur, die den ganzen Körper betraf, wurde von den nachfolgenden Hochkulturen der Griechen weitgehend und von den Römern bedingt übernommen. Nur den ältesten und damit vornehmsten Göttern des Olymps, Zeus, Hades und Poseidon, war der Bart gestattet, während die jungen Olympier in ihrer Ikonographie weitgehend bartlos blieben, sieht man vom behinderten Hephaistos ab. Bärte, zumal die ergrauten, signalisierten im antiken Griechenland wie auch im Judentum Alter, Weisheit und Würde. Die Denkmäler für die griechischen Philosophen zeigten diese Männer deshalb auch bärtig.
In der älteren griechischen Mythologie galt der Bart als Sitz der Weisheit und des Lebens. Indem ein Schwörender seine Hand auf den Bart oder das Knie einer Zeusstatue legte, bezeugte er die Ernsthaftigkeit und die Wahrhaftigkeit seiner Aussage. Ähnliche Schwurformeln wurden noch bis ins Hochmittelalter gepflegt. Die früh-mittelalterlichen Herrscher wurden daher in ihrer Richterfunktion immer bärtig dargestellt, unabhängig davon, ob sie tatsächlich einen Bart trugen oder nicht. So wurde zum Beispiel Kaiser Otto III. (980–1002) bereits als Dreijähriger auf seinen ersten Siegeln älter und mit einem Vollbart dargestellt.
Der Totenglaube der Griechen mass dem Bart gleichfalls eine besondere Funktion zu, weil der Bart der Inbegriff des Lebens war. Der Führer in das Reich der Finsternis, Charon, verlangte deshalb für die Überfahrt der verstorbenen Männer den Bart als Lohn. Einen Toten zu rasieren bedeutete, ihm- den Eintritt in das Totenreich, in die Ewigkeit, zu verwehren. Erst zu späterer Zeit legte man den Toten eine Münze zur Bezahlung der Überfahrt in den Mund.
Der Glaube an die vom Bart ausgehende Vitalität hielt sich bis ins Hochmittelalter und fand Eingang in die historische Sagenwelt. Der entrückte, nie verstorbene Friedrich Barbarossa soll noch heute im Untersberg schlafen, während sein Bart rund um den Tisch wächst. Nach drei Umrundungen, so geht die Sage, brechen die Endzeit und die Rekonstruktion des Deutschen Reiches an.
Vollbärte signalisierten in der Antike nicht nur die Notwendigkeit eines respektvollen Umganges. Mit der ersten Rasur traten die Jünglinge ins Mannesalter ein und wurden damit zu ehrenwerten Mitgliedern der patriarchalischen Ordnung. Nur bis zu dieser Zäsur war in den antiken Geschlechterstrukturen Athens die sexuelle Beziehung zwischen einem älteren Mann und einem Jüngling erlaubt, ja, sogar gesellschaftlich gewünscht; danach galt sie jedoch als verwerflich. Der Bart trennte die Generationen und stellte einen entscheidenden Einschnitt im Geschlechtsleben dar.
Vom passiven Objekt trat der Jüngling in den Status des handelnden Subjektes. Ein ähnliches kulturelles Verhaltensmuster kennzeichnet nicht nur die arabisch -nordafrikanische Welt der Gegenwart. Auch in der Modernen brasilianischen Gesellschaft findet es sich wieder. Es gehört dort zu den üblichen Gepflogenheiten von schwulen Männern über 30, sich einen Bart wachsen zu lassen, um lästigen Fragen über den Zivilstand zu entgehen. Bärtigkeit symbolisiert Männlichkeit und Ehe.
Das Tragen des Bartes war in den griechischen Stadtstaaten neben den alten Männern im wesentlichen den Kriegern vorbehalten, was einen deutlichen Unterschied zu den Modernen Armeen darstellt. Der Körper des Modernen Kriegers, der längst nur noch Soldat ist, zeichnet sich durch Kurzhaarschnitt und Glattrasur aus. Dabei hatte schon Alexander der Grosse praktische Gründe für die Zwangsrasur geltend gemacht. Er fürchtete, dass Bärte in Kämpfen hinderlich sein könnten.In den antiken Schlachten, die mit Schwertern im Einzelkampf Mann gegen Mann ausgetragen wurden, geschah es nämlich nicht selten, dass sich die Kämpfenden an den langen Bärten rissen, um die Bewegungseinschränkung des Gegners für den entscheidenden Schlag auszunützen. Die bartlosen griechischen Kämpfer, die ein Vorbild für das römische Heer darstellten, unterschieden sich damit von den meisten ihrer Gegner unter den Kulturen der antiken Welt.